Familienforschung über die Lienhart von Zürich
NAME UND HERKUNFT DER LIENHART VON ZÜRICH
Eine der ausgiebigsten Quellen, die über die Bürger im Staate Zürich Auskunft geben, sind die «Steuerbücher der Stadt und Landschaft Zürich 1357–1476». Es wäre ein Zufallsfund, wenn sich vor dieser Zeit der Name Lienhart in irgend einem Dokument oder einer Urkunde finden liesse. So ist der Name Lienhart, wie die der meisten andern Zürcher Stadtbürger auch, das erste Mal in eben diesen Steuerbüchern der Stadt und Landschaft Zürich zu finden.
Die erste Auskunft über die Stadtzürcher Lienhart findet sich in den «Steuerbüchern der Stadt und Landschaft Zürich 1357–1476». Im «Steuerrodel der Stadt Zürich 1357–1376» ist 1357 ein Lienhart im Zürcher Niederdorf, Haus 167 im «Ussermans hus», später «Lútolt Ussermans hus» genannt, aufgeführt. Dieser Lienhart wird in den Steuerrödeln nie mit einem Vornamen genannt. Aber ab 1362 ist sein Beruf angegeben: «Pfister» (Bäcker). Da er 1357 an diesem Ort im Steuerverzeichnis erfasst ist, kann der Schluss gezogen werden, dass er schon längere Zeit hier ansässig war. Da der erste Lienhart das Handwerk eines «Pfisters» (Bäcker) ausübte muss er demzufolge der heutigen «Zunft zum Weggen» angehört haben.
Woher der Name Lienhart abstammen könnte, darüber geben die «Steuerrödel der Stadt Zürich 1357–1376» eine mögliche Erklärung. Im «Personenregister zu den Steuerrödeln 1357–1376» sind folgende Personen verzeichnet (in Klammern heutige Strassennamen und Hausnummern):
1357, 1358 Niederdorf, 15. H. Müller von Sankt Lienhart (Badergasse 11-1)
1366 Niederdorf, 173. H. Müller von Sankt Lienhart (Neumarkt 26-2)
1366 Niederdorf, 22a. Johs Múlner von Sant Lienhart (Badergasse 11-1)
1371 Niederdorf, 22a. Johans von Sant Lienhart, mülnner (Badergasse 11-1)
1372 Niederdorf, 22a. Hans Müller von Sant Lienhart (Badergasse 11-1)
Der Name stammt vermutlich von der Kapelle Sankt Lienhart ab, welche damals oberhalb des «Centrals» (Eingang zum Niederdorf) stand und vermutlich dem «heiligen Leonard» gewidmet war. Der Name «Leonhard» geht auf die althochdeutschen Wörter «le(w)o» (Löwe) und «harti» (hart, kühn, mutig) zurück. Im Süddeutschen Raum wird der heilige Leonhard als einer der 14 heiligen Nothelfer verehrt. Ob der Name der Stadtzürcher Lienhart tatsächlich von dem Ort Sankt Lienhart abstammt kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.
Da die Lienhart bereits im 14. Jahrhundert, ohne Einschränkungen, Stadtbürger waren, gehörten sie zu den regimentsfähigen Bürgern. Das heisst, sie konnten in den Zürcher Rat gewählt werden, denn ab 1560 wurde die Bürgerrechtsaufnahme geschlossen, und die danach noch Eingebürgerten waren von der Regimentsfähigkeit ausgeschlossen.
In der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich befindet sich das «Meiss-Lexikon der Stadt Zürich», in welchem die Stadtbürger erfasst sind. Die Eintragungen in diesem Buch beginnen erst im 15. Jahrhundert und es sind lediglich die wichtigen Ereignisse erfasst und eingetragen, die das Bürgerrecht betreffen.
Unter dem Namen Lienhart lesen wir Folgendes:
«Abgestorben. Lienhart. App.sitt.1.p.70.
1429. Frantz Lienhart, der schuhmacher únd Elisabetha Meyerin.
1432. Hans Lienhart, der mezger und Adelheid Únholdin, alij verosmilins Unholtzin.
1489. Hartmann Lienhart ward XII.r bei den Schuhmachern; únd Sinner bis 1490
1489. Hans Lienhard ward XII.r bey den schifleüthen.
1538. Hans Lienhart, von bremgarten, der mezger w.[urde] b.[ürger] Z.[ürich]
1555. Hartmann Lienhart, der Zimmermann, ward XII.r bey dem widder
In den folgenden Jahrhunderten arbeiteten die Lienhart unter anderem als Kürschner, Zimmermann, Schuhmacher, Seiler, Metzger, Schmied usw. Durch ihre Handwerkberufe gehörten sie denn auch den verschiedenen Zünften an. Es waren dies (heutige Zunftbezeichnungen) die «Zunft zur Schmiden», «Zunft zum Weggen», «Zunft zum Widder», «Vereinigte Zünfte zur Gerwe und zur Schuhmachern», «Zunft zur Zimmerleuten», «Zunft zur Schneidern», «Zunft zur Schiffleuten» und «Zunft zur Waag».
Ende des 16. Jahrhunderts haben die Lienhart die Stadt verlassen oder waren im Mannesstamme ausgestorben. Jedenfalls lassen sich in den Akten keine Eintragungen mehr über sie finden.
Ende des 19. Jahrhunderts liess sich ein Lienhart wieder in der Stadt einbürgern und wurde daraufhin in den Zürcher Rat (Grossrat) gewählt.
DIE LIENHART AUF DER ZÜRCHER LANDSCHAFT
Auf der Zürcher Landschaft gibt es drei Ortschaften, in welchen die Lienhart über längere Zeit ansässig waren. Ob und wie diese Lienhart miteinander in verwandtschaftlicher Verbindung standen, darüber geben die Akten nur bedingt Aufschluss.
Einer der ältesten Lienhart-Stämme im Kanton Zürich ist jener von (Freienstein-)Teufen. Diese Ansiedlung ist auch mit Sagen verbunden. Eine davon reicht gar bis ins englische Königshaus. Der Stammvater soll kein Geringerer sein, als Richard «Löwenherz», König von England. Nachweislich liess sich um Mitte des 15. Jahrhunderts ein Lienhart in Rorbas und ein paar Jahrzehnte später in Teufen nieder. Noch heute sind Nachkommen hier ansässig. Diese Lienhart schreiben sich mit «d».
Von Teufen wanderte Mitte des 16. Jahrhunderts ein Lienhart nach Wallisellen aus und gründete einen neuen Lienhart-Zweig. Im 18. Jahrhundert änderte sich jedoch ihre Schreibweise in Leonhard.
Ein anderer Zweig der Lienhart von Teufen, jene von «Mitten-Tüffen», siedelte sich 1646 in Bassersdorf an. Auch heute leben noch Nachkommen in dieser Gemeinde. Diese Lienhart schreiben sich mit «t».
1694 zog ein Lienhart von Bassersdorf nach (Zürich-)Altstetten und gründete hier einen neuen Stamm. Diese Lienhart haben sich im 19. Jahrhundert in der Stadt einbürgern lassen, wo sie heute noch ansässig sind.
Im 15.–17. Jahrhundert liessen sich Lienhart in der heutigen Gemeinde Wiesendangen nieder. 1611 raffte die Pest aber viele Lienhart dahin.
Im 16. Jahrhundert lassen sich Lienhart in Flaach nachweisen. Seit wann sie hier ansässig waren, ist nicht bekannt. Sie mussten relativ grossen Grundbesitz besessen haben, den sie teilweise veräusserten. In den 1630er Jahren verschwindet das Geschlecht innert kürzester Zeit von Flaach.
Ein weiterer Lienhart-Stamm war jener von Brütten. Hier erscheinen Ende des 16. Jahrhunderts erstmals die Lienharts. 60 Jahren später ist der Name nicht mehr in der Ortschaft zu finden.
1636 zog eine Lienhart-Familie von Brütten nach Kloten und wanderte 1650 in die Pfalz aus.
Ab dem 14. Jahrhundert finden sich noch in verschiedenen Ortschaften auf der Zürcher Landschaft Personen mit dem Namen Lienhart, ohne jedoch längerfristig ansässig gewesen zu sein
Auf der Karte sind die Ortschaften eingefärbt, in denen Lienhart nachweislich von 1357 bis Ende 18. Jahrhundert gewohnt haben. Je nach Zeitepoche und/oder Schreiber wurde der Name Lienhart mit «d», «dt», «t» geschrieben, ja sogar mit Leonhard ersetzt.
DIE SCHREIBWEISE DER FAMILIENNAMEN IN DEN AKTEN
Im Gebiet des heutigen Kantons Zürich sind die ersten Lienhart in der Stadt Zürich nachgewiesen. Diese Lienhart, erstmals in den Steuerbüchern der Zürcher Stadt und Landschaft erfasst, wurden mit einem «t» geschrieben. Dies zieht sich über die ganze Zeitspanne, in der die Lienhart in der Stadt nachgewiesen sind, durch.
In den Akten der Zürcher Obrigkeit wurde auch für die Lienhart der Landschaft der Name mit einem «t» geschrieben. Nebst den Steuerbüchern waren dies Mannschafts- und Kriegsrödel, Urkunden wie Kauf- und Pachtverträge usw.
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts mussten die Dorfpfarrer, auf Beschluss des Zürcher Rates, Tauf-, Ehe- und Totenregister führen. Diese kirchlichen Register wurden unterschiedlich schnell und teilweise gestaffelt eingeführt. Zum Beispiel wurden zuerst die Tauf- später die Ehe- und schliesslich noch die Totenregister angelegt, im Gegensatz zu den Haushaltsrödeln oder Bevölkerungsverzeichnissen, welche ab 1634 geführt werden mussten.
Bei all diesen von Pfarrherren geführten Büchern zeigt sich gegenüber den amtlichen Akten, dass Namen sehr unterschiedliche Schreibweisen erfuhren. Nicht nur bei einer Neubesetzung einer Pfarrstelle, sondern selbst im Verlaufe der Amtsjahre desselben Pfarrers unterlagen Namen Änderungen. So wurde der Name Lienhart mit t, d, dt, vereinzelt auch als Lienert, geschrieben.
Kurz vor Ende des 17. Jahrhunderts kam die Mode auf, die Namen zu «verdeutschen». So wurde Lienhart zu Leonhard, Lavater zu Lauater usw. Diese Mode endet bereits wieder im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, und die Namen wurden wieder in ihrer ursprünglichen Form geschrieben. Interessant ist nun, wie der Name Lienhart nach dieser Modeerscheinung innerhalb des Standes Zürich geschrieben wurde. Die Obrigkeit kehrte zum Lienhart zurück, währenddem der Pfarrer in Teufen, Pfarrei Rorbas, seine Schäfchen Lienhard schrieb. Im Gegensatz zur Teufener Schreibweise wurde in Bassersdorf und Altstetten der Namen Lienhart bevorzugt. Ganz anders in Wallisellen. Hier wurde der Name Leonhard beibehalten. Verschiedene Schreibweisen – und trotzdem gehören sie demselben Stamm an. Man darf aber nicht dem Irrglauben verfallen, dass ab nun nur noch die eine Namensschreibweise Gültigkeit hatte. Auch danach gab es hie und da, je nach Pfarrer, wieder Abwandlungen, jedoch ohne dass sich diese länger behaupten konnten. Oder einfach gesagt, «der Schreibende bestimmte die Schreibweise des Namens».
Mit der Einführung des eidgenössischen Zivilstandswesens im Jahre 1876 übernahmen staatliche Beamte die bis dahin allein von Pfarrern geübte Kontrolle und Beurkundung des Personen- und Familienstandes. In der Folge wurden die Pfarrbücher der älteren Zeit den Zivilstandsämtern zugewiesen und nicht mehr fortgesetzt. Die Schreibweisen in den Kirchenbüchern wurden übernommen und erhielten damit Rechtsgültigkeit.
Die Frage nach der Schreibweise des Namens Lienhart in diesem Buch hängt also von den zu Rate gezogenen Akten und Dokumenten ab.
FAMILIENWAPPEN DER LIENHART VON ZÜRICH
In der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich befindet sich das Meiss-Lexikon der Stadt Zürich. Darin ist der erste Lienhart-Eintrag aus dem Jahre 1429 verzeichnet. Dieser Lienhart war Schuhmacher von Beruf. Neben diesem ersten Lienhart-Eintrag ist auch das erste bekannte Lienhart Familienwappen eingetragen. Das Familienwappen zeigt einen blauen Schild mit goldener Lilie und schwarzem Schuh, was darauf hindeutet, dass der Wappenträger Schuhmacher von Beruf war. Das Wappen, welches im Meiss Lexikon dargestellt ist, muss demnach zwischen 1429 und 1489 entstanden sein.
WEITERE FAMILIENWAPPEN DER LIENHART VON ZÜRICH
Die beiden Lienhart, welche 1489 als «XIIer» in den Zürcher Rat gewählt wurden trugen nachweislich dieses Wappen. Einziger Unterschied: Der Schuh im Wappen des Schiffleute-Zwölfers ist spiegelverkehrt dargestellt. Der Ratsherr Lienhart der Zunft zum Widder führte 1555 einen Ladenspalter statt eines Schuhs im Wappen. Folglich basierten alle Stadtbürger Lienhart auf demselben Wappen. Zur Unterscheidung wurden lediglich Handwerkszeuge oder deren Details geändert.
Quelle: "Die Lienhart von Zürich", Band 1, Walter Verlag, 2014 (siehe Rubrik "Bücher")